Es gibt Nächte, die kommen einem kurz vor. Man hatte sich doch gerade erst hingelegt und schon klingelt der Wecker. Dann gibt es Nächte, da wälzt man sich von einer Seite auf die andere und dann träumt man meist den größten Blödsinn. So etwas hatte ich erst neulich. Ich träumte von einem gewaltigen Unwetter. Der Sturm riss das Dach von meinem Haus und zerstörte alles. Ich musste mich mit meiner Familie retten. Wir zogen durch die Straße und klingelten in der Nachbarschaft, aber niemand wollte uns herein lassen. Es wäre kein Platz und wir sollen doch dahin zurück, wo wir herkämen. Einige wurden richtig aggressiv, beschimpften uns als Schmarotzer und drohten uns mit Gewalt. In unserer Not haben wir uns heimlich auf ein Grundstück geschlichen, um uns zu verstecken. Da wir Hunger hatten, aßen wir ein paar Früchte aus dem Garten. Das hatte wohl jemand bemerkt und rief nach der Polizei. Wir waren doch aber keine Verbrecher. Wir waren doch in Not. Wieso half man uns nicht? Was sollte ich nun tun, um meine Familie zu retten? – An der Stelle bin ich schweißgebadet aufgewacht. Vielleicht hätte ich doch nicht soviel zu Abend essen sollen. Sich reichlich Essen leisten zu können, hat eben auch Nachteile.
Ich drehte mich auf die andere Seite, schlief auch wieder ein und träumte erneut. Es war fast der gleiche Anfang, doch diesmal hatte der Sturm ein Haus in meiner Nachbarschaft beschädigt und dort das Dach abgerissen. Die Familie, welche gleich unter dem Dach wohnt, hatte soviel Glück, dass sie sich retten konnte, hatte aber nun kein Zuhause mehr. Wir haben sie erst einmal bei uns aufgenommen. Schließlich muss man sich ja helfen und wir haben ja auch Platz. Kurz darauf kamen nacheinander auch die Familien der unteren Etagen des kaputten Hauses. Jetzt wurde es für uns schon schwieriger. Allein schon die ganze Logistik für so viele Leute. So auf engem Raum gab es da schon die eine oder andere Reiberei. Man kann es ja auch verstehen. Nach allem, was sie durchgemacht haben, liegen die Nerven blank. Gemeinsam überlegten wir nun, wie das Problem zu lösen sei. Es musste ja jeder irgendwie ein erträgliches Leben haben. Es kamen verschiedene Ideen. Manche waren allerdings sehr unpraktikabel. Sie reichten von Toilettenzeiten bis hin zu einem Rotationsystem für die Zimmer. Dann hatte ich eine Idee. Wie wäre es denn, wenn wir zusehen, dass wir das kaputte Haus einfach wieder in Ordnung bringen? Dann könnte jeder wieder in seiner Wohnung wohnen. Alle packten mit an und nach ein paar Schwierigkeiten konnten meine Gäste endlich wieder nach Hause. Die Wochen bis dahin war es zwar immer noch beengt, aber bereits erträglich, da es nun eine Zukunft gab. Wir alle…
An der Stelle klingelte dann doch der Wecker.
Man träumt schon manchmal putzige Sachen oder?
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“