Die meisten Menschen glauben an etwas. Einige glauben an einen Gott, ihren Gott, andere an mehrere und wieder andere glauben daran, dass es keinen gibt. Agnostiker glauben daran, dass sie es nicht wissen können. Die meisten Menschen halten sich auch streng an ihren Glauben und bedenken dies bei ihrem Handeln. Meine Wortwahl ist Absicht. “Bedenken” im Sinne von “auf Vorschriften achtgeben” heißt auf Latein “relegere”. Davon stammt das Wort “Religion”. Genau genommen schließt das auch Atheismus als Religion ein. Dieser darf sich dann sicher auch als eine Weltreligion zählen. Nennen Sie mal drei große Religionen! Oder sagen wir vier, fünf oder sechs? Ich tippe mal auf folgende Antworten: 1.) Christentum, 2) Islam, 3) Judentum (käme der Größe nach eigentlich auf Platz fünf), 4) Buddhismus oder Hinduismus und, wegen meiner Einleitung, 5) Atheismus.
Aber keiner ist auf die größte, eigentlich offensichtlichste und dennoch unentdeckte Weltreligion gekommen. Ich nenne sie “Konsumismus”. Angebetet wird ein Gott namens “Mammon”. Er hat aber noch viele andere Namen. Die Anhänger wissen zum Teil gar nicht, dass sie nicht mehr ihren eigenen Gott anbeten, denn diese Religion hat bereits andere Religionen assimiliert. Welcher Christ hätte noch vor hundert Jahren bereits vor dem Totensonntag Stollen gegessen oder Eier vor Ostern? Dabei hat es der Konsumismus genauso gemacht, wie die Kirche der Christen. Er hat einfach die Feiertage der Heiden übernommen und für seine Zwecke umgewandelt. Nennt den Tag doch wie ihr wollt, Hauptsache ihr kauft etwas.
Kaufen ist quasi das Beten im Konsumismus. Es ist Beten und Buße tun in einem. Es ist der einzige Weg zum Seelenheil und zum Paradies. Das Paradies, verspricht der Konsumismus, ist ein Ort, wo man sich alles leisten kann und der Besitz grenzenlos ist. Danach streben seine Jünger. Wie jede andere Kirche hat auch der Konsumismus seine Einrichtungen. Die Gotteshäuser oder Einkaufstempel stehen in allen größeren Städten. Kleinere gibt es fast in jedem Dorf. Inzwischen treibt der Größenwahn jedoch immer weitere Blüten und diese Tempel müssen auf freien Flächen errichtet werden, um Pilger aus immer größerer Entfernung aufnehmen zu können. Die Religion ist sehr mächtig. Sie hat nicht nur die anderen Religionen unterwandert, sondern inzwischen die Wirtschaft übernommen und besitzt Macht über sämtliche Medien. Auf jedem beliebigen Medienkanal laufen die Botschaften der Prediger: “Kauft dies” oder “Kauft jenes”.
Auch Klöster gibt es. Hinter dicken Mauern haben einige ihr Leben diesem Glauben verschrieben. Die Bruderschaften “Deutsche Bank”, “Postbank” etc. kennt jeder.
Wenn Sie sich jetzt fragen, wieso Sie diese Religion noch nicht erkannt haben, kann ich Ihnen den Trick verraten. Jede andere Religion hat ein einzigartiges schriftliches Werk. Sie kennen Bibel, Koran, Thora, Sanskrit, Kapital und wie sie alle heißen. Der Konsumismus hat so etwas nicht. Er hat tausende und abertausende Kataloge. Sein Werk ist nicht festgeschrieben. Es ist flexibel. Gab man vor 30 Jahren noch Geld für eine Postkarte aus, um als Hauptpreis einen Plattenspieler in einer Fernsehsendung zu gewinnen, müssen es heute schon die Millionen im EURO-Jackpot sein. Die Religion baut nicht einmal auf die Tatsache, dass sich die Allmacht des Gottes Mammon am ehesten beweisen lässt. Die Flexibilität und die Unterwanderung der anderen Religionen hat dieser Religion zur Macht verholfen. Es hat keinen Sinn, sich dagegen zu wehren. Wir sind ihr bereits verfallen. Oder kommen Sie noch ohne Geld aus?
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“