Wie doch die Zeit vergeht. Da hat der Karl sicher jetzt lange nichts zu meckern gehabt. Irrtum. Es ist nur so, dass alles irgendwie schon gesagt wurde. Die Mitmenschen ändern sich nicht und geben immer wieder auf die gleiche, dumme Weise Anlass, die eigenen Blutdruckwerte in die Höhe schnellen zu lassen. Wenn ich den Sachverhalt hier aber schon abgehandelt habe, würde ich mich nur wiederholen.
Doch an einem der letzten Wochenenden hatte ich Gelegenheit, mich über etwas erregen zu dürfen, was bisher noch ungeschoren davongekommen ist: der Personennahverkehr. Ganz allgemein gibt der wahrscheinlich sogar Stoff für mehrere Artikel. Doch hier geht es nur um den Erwerb einer simplen Fahrkarte oder, wie es im Zuge der Anglizismusionierung heißt, eines Tickets.
Der einfache Versuchsaufbau lautet: Fahre vom Nachbarort Naunhof die eine Station zurück nach Großsteinberg!
Früher musste man sich dazu am Bahnschalter im Bahnhofsgebäude anstellen und eine entsprechende Fahrkarte (hieß damals noch so) erwerben. Man legte seinen Wunsch “Einmal nach Großsteinberg, bitte!” dar und bekam gegen Zahlung des Entgelts ein Stück Pappe.
Heutzutage ist der Bahnschalter nicht mehr notwendig. Es gibt Kartenautomaten und auch Apps auf dem Smartphone. Dadurch ist es viel einfacher, zu jeder Zeit eine Fahrkarte oder von mir aus auch ein Ticket zu erwerben. Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht. Der Kauf über das Smartphone birgt folgende Problematik: Die Bahn-App könnte das zwar, aber weil der für die Region zuständige Verkehrsverbund unserer Kleinstaatenrepublik nicht mitspielt, kann ich dort nur überregionale Strecken buchen. Für die Verbindungen auf regionaler Ebene hat der Verkehrsverbund seine eigene App. Gut, dann installiere ich eben noch eine App mehr und melde mich auch dort noch an. Jetzt geht es aber. Nein, geht trotzdem nicht. Dort können keine Zahlungsarten wie Paypal, Kreditkarte oder Lastschrift hinterlegt werden. Es ist nur die Zahlung über die Handyrechnung möglich. Das wiederum wird nicht von allen Mobilfunkanbietern unterstützt. So auch nicht von meinem aktuellen.
Mit dem Smartphone ein gültiges Ticket besorgen geht also nur theoretisch.
Dann ist da aber noch der Fahrkartenautomat. Der hat 24 h und 7 Tage die Woche “geöffnet”. Eine Verbesserung gegenüber früher. Super! Nun sollte es ja einfach sein, ein Ticket zu lösen.
Auf dem Bildschirm sind schon vier der wichtigsten (?) Ziele angegeben. Leipzig, Grimma, Borsdorf, Beucha. Großsteinberg ist leider nicht dabei. Ich lasse mich von den vielen anderen Buttons nicht ablenken. Man kann ja einfach ein anderes Ziel eintippen. Zack, da ist es: “1x einfache Fahrt nach Großsteinberg für 1,90 EUR”. Könnte man jetzt nehmen. Aber hat nicht jemand gesagt, dass es für 1,60 EUR geht? Kurzstrecke. Die eine Station ist doch eine Kurzstrecke? Den Begriff muss man kennen, findet ihn aber im Menü auch nicht so einfach. Gibt man aber “Kurzstrecke” als “anderes Ziel/Haltestelle” ein, kommt man wie bei einem Computerspiel ins nächste Level. Bis zum Highscore ist es aber noch ein Stück. Es erscheint nämlich die nächste Aufgabe. Ein neues Menü fragt, ob ich über “144 147”, “146 147”, “147” oder “147 152” fahren möchte. Da braucht man schon gehobeneres Wissen über die Strukturen des Systems. Das sind die Tarifzonen, in welche das Gebiet unterteilt ist. In diesem Moment höre ich von fern Herrn Rochen aus “Findet Nemo” singen: ”Nennt mir die Zonen, die Zonen, die Zonen…”
Ich möchte eigentlich nur mit dem Zug die eine Station zum Nachbarort, ohne Umwege und nicht über irgendwas. Ich entscheide mich für das kleinste “Über” und wähle “147”. Zack, da ist es: “Einzelfahrkarte Kurzstrecke 1,60 EUR”. Neugierig geworden, klicke ich auch die anderen “Über” durch. Das Ergebnis ist jedes Mal „Einzelfahrkarte Kurzstrecke 1,60 EUR“. Muss man nicht verstehen.
Noch etwas Verrücktes am Rande: Wenn man nun von der übernächsten Station (Grimma) zurück nach Großsteinberg möchte, also auch nur eine Station, dann ist die Einzelfahrt noch teurer. Die kostet 3,40 EUR, weil hier ein Tarifzonenwechsel dazwischen ist und man zwei Tarifzonen befährt. Ja so ein Tarifzonenwechsel ist schon immer ein tolles Schauspiel. Dafür zahlt man doch gern etwas mehr. Der “Trick” mit der Kurzstrecke für die eine Station geht hier leider nicht, weil die Entfernung größer als 5 km ist. Muss man wissen.
Als Bahnfahrer müssen Sie gut vorbereitet und informiert sein, um sich korrekt durch das Menü des Fahrkartenautomaten zu hangeln. Nur dann können Sie den Hauptpreis, das richtige und gleichzeitig günstige Ticket gewinnen … äh … erwerben. Mir als Seltenfahrer fehlen diese Kenntnisse und ich war auf versierte Mitfahrer angewiesen. Ich frage mich nur besorgt, was Menschen mit geringerer Bildung oder Problemen mit dem (Bahn-)Deutsch machen, um an ein korrektes Ticket zu kommen? Vielleicht ist unter den Schwarzfahrern ein erheblicher Prozentsatz derer, denen es nicht möglich war den Automaten zu bedienen? Wieso kann man nicht einfach sein Ziel eingeben, wird eventuell noch nach der Anzahl der Personen gefragt und der Automat berechnet das beste Ticket selbst?
Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht.
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“