Manche Dinge sind so alltäglich, dass man meint, sie nicht erklären zu müssen. Wer aber kleine Kinder hat, der weiß, dass man alles irgendwann zum ersten Mal macht und eben alles einmal erklärt bekommen muss.
Statt sich also zu ärgern, wenn einer unserer Mitmenschen wieder einmal die Toilettentür nicht geschlossen hat bzw. diese oder eine andere mit einem Knall ins Schloss krachen lässt, sollten wir lieber fürsorglich auf ihn zugehen.
Schauen wir uns diesen bedauernswerten Zeitgenossen einmal genauer an. Was könnte wohl die Ursache einer solchen Verhaltensstörung sein? Möglicherweise könnte er in seiner Kindheit vernachlässigt worden sein. Niemand hat sich um ihn gekümmert und ihm erklärt, wozu Türen da sind und wie man sie benutzt. Vielleicht ist er gar bei einem Wüstenvolk aufgewachsen. Da gab es nur Zelte. Da schlägt man ja auch nur die Zeltwand beiseite, tritt hindurch und der Lappen klappt von selbst wieder zu. Vielleicht sind der komplizierte Mechanismus einer Tür mit Klinke und die komplexen Vorgänge bei der Kombination von Hirn, Auge und Bewegungsapparat einfach zu viel für unser Sorgenkind. Wir sollten daher etwas Zeit einplanen und eine möglichst hieb- und stichfeste Anleitung zur Benutzung einer Tür mit Klinke liefern.
Ich habe mich bemüht, hier etwas Vorarbeit zu leisten.
Grundlegend gilt es, die Funktion einer Tür klarzustellen. Fangen wir also ganz von vorn an. Da haben wir zunächst einen Raum. Das ist erst einmal ein Platz, den man aus verschiedenen Gründen von anderen Plätzen abgetrennt hat. Dazu hat man an allen Seiten Wände errichtet. Jetzt ist der Platz schön abgetrennt. Meist bringt so ein Platz von sich aus schon einen Fußboden mit, was sehr praktisch ist, um sich oder etwas anderes darauf stellen zu können. Die meisten Räume haben auch oben noch einen Verschluss, in Fachkreisen Decke genannt. Für den Gebrauch einer Tür reicht es aber, wenn die Wände hoch genug sind. Wenn wir also nun so einen wunderschönen Raum haben, möchten wir ihn gern nutzen. Dazu ist es meist notwendig, in den Raum hinein zu gelangen und auch wieder herausgehen zu können. Damit das bequem funktioniert, müssen wir in eine Wand wieder ein Loch machen. Oft reicht uns ein Loch nicht, weil wir auch noch mehr Tageslicht haben wollen oder raus gucken möchten. Das ist aber alles auch sehr schade, da nun die Wände kaputt sind und das hat halt auch Nachteile. Es zieht zum Beispiel. Also haben pfiffige Leute praktische Dinge erfunden, um die Löcher zeitweise verschließen zu können. Wichtig ist nun für uns, dass das Loch zum Durchgehen mit einem Brett verschlossen wird, welches wir Tür nennen. Das gilt es von den anderen Löcherverschlüssen zu unterscheiden. Als Faustregelt gilt: Eine Tür ist etwas höher und breiter als ein normaler Erwachsener. Eine Tür geht i.d.R. auch bis zum Fußboden. Eine eventuell vorhandene kleine Barriere am Fußboden (Schwelle genannt) sollte wenige Zentimeter nicht überschreiten. Eine Schwelle in Brusthöhe ist ein starkes Anzeichen dafür, dass wir die falsche Öffnung erwischt haben. Vorsicht! Es kann sich hierbei um ein Fenster handeln. Von einem Durchgang ist dringend abzuraten. Haben wir die richtige Öffnung mit der Tür lokalisiert, gilt es zunächst ihren Status festzustellen. Zur Vereinfachung behandeln wir nur den korrekten Zustand “geschlossen” und vorübergehenden Zustand “offen”. Die Zustände “angelehnt”, “verschlossen”, “ausgehängt”, “verstellt” und “dreht sich” könnte man in einem Aufbaukurs vertiefen. Wir gehen zunächst vom korrekten Zustand “geschlossen” aus. Die meisten unserer neuen Nachhilfeschüler haben bereits mühsam erlernt, wie der nächste Schritt zu erfolgen hat. Selten dürften Sie Ihren Schützling mutlos vor einer geschlossenen Tür verharren gesehen haben. Man stelle sich aber nur mal vor, wie vieler Anläufe es bedurfte, um mit Probieren auf “Klinken und Schieben” oder gar “Klinken und Ziehen” zu kommen. Bei Tieren könnte man da schöne Experimente machen. Aber das ist hier sicher nicht angebracht. Wir sollten nun versuchen unserem Türlegastheniker zu erklären, warum er letztendlich doch zum Erfolg gekommen ist. Der Hebel nämlich zum Ziehen und Schieben ist absichtlich so wackelig angebracht. Man nennt ihn “Klinke” und wenn man ihn bzw. sie nach unten drückt, wird ein kleiner Metallschieber, der die Tür auf einer Seite an der Wand festhält, hin- und her bewegt. Das kann man durchaus an der geöffneten Tür mehrmals demonstrieren. Bildlich macht sich das immer gut.
Bewegen Sie die Klinke langsam nach unten und oben und machen Sie mit dem Finger auf den Metallschieber (auch Schnapper genannt) aufmerksam. Beobachten Sie den Probanden. Erst wenn sich der Stumpfsinn in seinen Augen in ein verständiges Leuchten verwandelt, haben Sie eine Chance, dass er begriffen hat. Da das Öffnen ja meist recht gut klappt und auch keine Angst beim Durchschreiten der Türöffnung besteht, können wir rasch zum Höhepunkt unserer Erläuterungen kommen. Es gilt nun darauf hinzuweisen, dass die Tür wieder in den korrekten Zustand versetzt werden muss. Sonst ist der ganze Sinn der Tür und eigentlich auch das Abtrennen des Platzes mit Wänden in Frage gestellt. Ob diese Einsicht vermittelt werden kann, hängt stark davon ab, wieviel Mühe wir uns eingangs mit den Grundlagen gegeben haben und natürlich auch von der Auffassungsgabe des sozial peripheren Zeitgenossen. Haben wir hier Erfolg, gilt es nochmal an den Hebel (Klinke) zu erinnern und den kleinen Metallschieber. Klar, mit dem nötigen Schwung gibt der Klügere halt nach. Verblüffende Phänomene lassen sich aber erst beobachten, wenn man den Hebel auch beim Schließen der Tür gedrückt hält, bis diese ganz an der Wand anliegt und im richtigen Moment loslässt. Es kann sogar passieren, dass dies völlig geräuschlos vonstatten geht. Das klappt sicher nicht beim ersten Mal. So etwas braucht ein wenig Geschick und Übung. Da sollten Sie Geduld haben. Ermutigen Sie Ihren gerade domestizierten Kameraden, es immer wieder zu versuchen. Machen Sie einen sportlichen Wettkampf daraus. Sollte alles nichts nützen, hängen Sie die Tür aus und halt ein paar Decken dafür hin.
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“