Na, der Spruch passt doch mal zu Einem, der tot ist. Aber um mich geht es ja gar nicht.
Eigentlich geht es um die Frage, ob es stimmt, dass früher alles besser war, wenn es doch “alle” sagen. Warum ruft keiner: “Heute ist alles besser!”, obwohl dies für die meisten Menschen zutrifft, oder: “Morgen wird alles besser!”? Gut, Letzteres ist sehr hypothetisch. Um daran zu glauben, müsste es einem heute schon sehr schlecht gehen, damit es morgen nur noch besser werden kann. So schlecht geht es uns aber nun auch wieder nicht. Aber wenn der Spruch “Früher war alles besser!” generationenübergreifend ist, dann ist es ja heute besser als morgen und das auch schon seit Jahrzehnten. Das wäre ja eine ständige Talfahrt und wir müssten doch schon langsam in einer Situation angekommen sein, an ein besseres Morgen glauben zu wollen.
Wie so vieles, ist diese Sicht nicht objektiv. Früher war nicht alles besser, früher waren wir jünger. Das war für uns selbst natürlich besser.
Man wächst in eine Welt hinein, die man erst einmal verstehen muss. In der eigenen Blüte glaubt man die Welt verstanden zu haben. Man glaubt als junger Mensch auf dem Zenit seiner Erkenntnis angelangt zu sein, dazu noch volljährig und frei vom elterlichen Gängelband. Die Natur vervollkommnet dies durch körperliche Topwerte: Sexuelle Reife und Leistungsfähigkeit, Kraft, Gesundheit und straffes Bindegewebe. Gesellschaftlich fällt meist noch der Abschluss der Ausbildung und die Wahl eines Partners in diese Zeit zwischen 20 und 30. Obwohl unsere Lebenserwartung weit über dem Doppeltem liegt, hat uns die Evolution nicht sehr viel mehr zugestanden. Die Zellregeneration klappt nicht mehr ganz. Die ersten Abnutzungen machen sich bemerkbar und die ersten “Zipperlein”.
[“Zipperlein” bezeichnete ursprünglich den Trippelschritt mancher Gichtkranker durch die sich krümmenden Zehen.]
Ja, ab 40 wächst dann langsam der Gedanke, dass es doch früher besser war, als man noch jung war. Das menschliche Hirn spielt seine Fähigkeiten beim Formen der Wahrnehmung aus und verherrlicht uns die Vergangenheit. Beispiel gefällig? Wer von den Herren noch der Wehrpflicht unterworfen war, wird es damals zu 99 % gehasst haben. Trotzdem werden heute auch etwa 99 % nur noch tolle Geschichten darüber zu erzählen haben. “Das waren noch Zeiten…” – verklärter Blick – “Herr Ober! Noch eine Runde!”
Früher war alles – anders. Für den, der Entwicklungen verschlafen hat und der im Zeitalter von Smartphones seine E-Mails nicht abruft, war es natürlich auch deswegen früher besser, als er noch mit Kassettenrecorder und Überspielkabel „up to date“ war.
Wenn wir das Heute objektiv sehen, müssen wir zugeben, dass wir es meist zu einem Wohlstand gebracht haben, von dem wir früher nicht zu träumen gewagt hätten. Hinzu kommen technische Fortschritte, die unser Leben vereinfachen und bereichern, sofern wir es uns nicht nehmen lassen, diese zu nutzen.
War denn nun früher alles besser oder nicht? Alles sicher nicht. Einiges vielleicht. Oder um es mit “Opa Hoppenstedt“ (Loriot) zu sagen: “Früher war mehr Lametta.”
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“