Feierabend Feuerwerk

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Viele Kriterien haben im Laufe der Zeit immer wieder versagt. Der Mensch benutzt als einziges Lebewesen Werkzeug. Falsch! Es gibt eine Reihe von Tieren, die auch Werkzeug benutzen. Schimpansen sind da ganz weit vorn. Sie benutzen z. B. verschiedene Hölzer als Hammer und Amboss, um Nüsse zu Knacken. Aber auch uns weniger ähnliche Tiere beweisen hier Geschick. Seeotter öffnen Muscheln, indem sie mit einem Stein darauf schlagen.

Dann sollte die Intelligenz als Unterscheidungsmerkmal dienen. Einerseits wurde inzwischen bei einigen Tieren ein recht großes Potential an Intelligenz festgestellt. Andererseits kenne ich einige Zeitgenossen meiner Spezies, an deren Intelligenz ich jetzt schon rein gefühlsmäßig nicht allzuhohe Erwartungen stellen würde.

Doch es gibt sicher ein Kriterium, bei welchem sich der Mensch aus dem Tierreich hervor hebt. Sein  Verhältnis zum Feuer ist schon immer ein besonderes. Das Feuer hat den Menschen zum Mensch gemacht. Er hat es zwar nicht besiegt, aber er beherrscht seine Angst davor und hat es sich zu Nutze gemacht. Durch die Nutzung des Feuers hat sich seine Nahrung geändert und es war der Beginn von technischem Fortschritt.

Feuer zu entfachen, es zu bändigen und mit Feuer zu gestalten, ist eine der ersten und größten Erfolge der Menschheitsgeschichte, der sich tief ins allgemeine Bewusstsein gebrannt hat und inzwischen genetisch verwurzelt zu sein scheint. Unsere moderne Gesellschaft bietet jedoch kaum noch Gelegenheit, diesem Stolz Rechnung zu tragen. Feuer bedeutete Licht in der Nacht. Da haben wird Glühlampen, LEDs und andere elektrische Leuchtmittel. Feuer bedeute Wärme. Unsere Heizungen werden elektronisch gesteuert. Meist ist es eine eingesperrte unsichtbare Öl- oder Gasflamme. Feuer bedeutete Nahrung zu zubereiten. Glatte Glaskeramik-Kochfelder heizen hier auf Knopfdruck. Was bleibt dem stolzen Bezwinger des Flammentieres? Zum Glück gibt es Feuerschale und Grill im Garten. Kein Wunder, wenn sich diese Dinge immer größerer Beliebtheit erfreuen, je mehr das Feuer aus unserem Haushalt verschwindet. Wobei die Feuergeschichte keine reine Männerspielerei ist. Wer von Ihnen, liebe Damen, hat Teelichter zu Hause? Und wer von Ihnen benutzt diese zum Warmhalten von Tee? Also bitte.

Einmal im Jahr bekommen wir noch mehr Gelegenheit, unsere latente Pyromanie auszuleben. Vom 31. Dezember 00:00 Uhr bis zum 1. Januar 24:00 Uhr dürfen wir Feuerwerk der Klasse II zünden. Feuerwerk ist nicht nur Spiel mit dem Feuer, sondern es geht über das natürliche Feuer hinaus. Es ist Modellieren mit Feuer. Wie der Bildhauer aus einem Stein eine Skulptur entstehen lässt, wird Feuer zu Blumen, Sonnen und Sternenregen. Kurzlebige Kunstwerke, deren Leuchten wir bestaunen. Es ist die Faszination, die Gewalt von Explosionen so dosieren zu können, dass ein Knall und ein Effekt, aber keine Zerstörung entsteht. Es ist etwas Besonderes. War dies früher nur Königen vergönnt, so können wir alle zum Jahreswechsel entweder selbst agieren oder einfach nur zusehen und staunen.

Warum erzähle ich das mitten im Jahr? Weil, wenn es nach der Zahl der Feuerwerke geht, jedes Wochenende Silvester zu sein scheint. Oder wird denn wirklich an jedem Wochenende ein neuer Staat gegründet, wird ein neuer König ausgerufen oder hat einen Thronfolger bekommen? – Ja, es scheint so. Oder die Gründe werden halt immer nichtiger. Der Spross hat sein erstes Wort gesagt: Feuerwerk, das Auto ist durch den TÜV gekommen: Feuerwerk, ich habe Feierabend: Feuerwerk. Wobei an dieser Stelle mal zu erwähnen wäre, dass “Feierabend” ursprünglich nur der Abend vor einem Feiertag war. Das machen wir aber jetzt auch jeden Tag.

Eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn jemand seine kleinen Highlights zelebriert. Soll doch jeder mit Freude und Frohsinn sein Leben genießen. Aber wieso kommen manche Egomanen auf die Idee, dass ihre Unwichtigkeiten den Rest der Welt interessieren könnten? Da bitte ich doch inständig, um eine gewisse Verhältnismäßigkeit. Setzt man die Bedeutung eurer Anlässe mal zu den Ereignissen im Rest der Welt in Relation, dann würde ich eine Wunderkerze für angemessen halten, mehr nicht. Außerhalb eurer privaten Feier interessiert es keinen Menschen. Es ist alltäglich und gewöhnlich für die Öffentlichkeit, was euch vielleicht an diesem Tag zu Ausschweifungen veranlasst. Feiert und habt Spass, aber trennt euch von der Vorstellung, dass die Welt davon Notiz nehmen muss. Und wenn man es ihr mit Gewalt aufdrängt, dann erntet man das, was man in solchen Fällen immer erntet: Missfallen. Liebe Leute, wenn euer Geltungsdrang nicht mit einer ordentlichen Protzkarre in der Einfahrt zu befriedigen ist, dann lasst euch doch bitte etwas einfallen, womit ihr den Mitmenschen nicht dermaßen auf den Keks geht, dass friedliebende Zeitgenossen plötzlich ein gewisses Grundverständnis für Amokläufer bekommen. Bei der Gelegenheit auch noch der Hinweis: “…Das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen der Kategorie 2 ohne Ausnahmegenehmigung stellt einen Verstoß gegen das Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) dar. Die Ordnungswidrigkeit gemäß § 46 Nr.8 b der 1. SprengV i.S. des § 41 Abs. 1 Nr. 16 des Gesetzes kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden…”[aus dem Hinweis des Ordnungsamtes des Landkreises Leipzig zur Bewilligung von Ausnahmen vom Verwendungsverbot von pyrotechnischen Gegenständen der Kategorie 2 in der Zeit vom 2. Januar bis zum 30. Dezember]

Lasst uns doch bitte alle Silvester – und nur dann – gemeinsam Feuerwerken! Der Jahreswechsel betrifft alle und es bleibt dann auch etwas Besonderes.

Karl Pfefferkorn (1897-1961)
Karl Pfefferkorn

 


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