“DAS Ende” klingt erst einmal nicht so gut. Vor allem, wenn man es etwas theatralisch ausspricht. – Probieren Sie es mal! – Na los! “DAS Ende”. – Etwas mehr Nachdruck auf das “DAS” und bei “Ende” schon die Resignation. – Nochmal: “DAS Ende”
Gut, es geht hier auch nicht um ein Vorsprechen und Ihr Talent.
Es geht um “das Ende”. Aber welches? Ein Wochenende wäre zum Beispiel etwas Erfreuliches.
Das ist es also nicht. Es ist auch nicht das Ende von der Wurst, sonst wäre es ja Mehrzahl. Was dann?
Da sicher allen schon der magersüchtige Abreißkalender und eine unendliche, gleichlautende Wunschserie in den letzten Tagen und Wochen ins Bewusstsein gehämmert haben, dass das Jahr fast aufgebraucht ist, kann ich an dieser Stelle die Spannung nur schwer aufrecht erhalten.
Das Jahresende ist also da. Nun ist es soweit. Wir haben es geschafft. Es ist getan, vollendet, vollbracht. Wie ein Bauwerk, nach dessen Fertigstellung der letzte Handwerker die Hecktür seines Hundefängers zugeschlagen hat und davongebraust ist, so steht das fertige Jahr vor – bzw. liegt hinter uns.
(Der Vergleich ist nun durchaus doch etwas unglücklich. Ein hinter uns liegendes(!) Bauwerk, stellt sicher eine wenig erfolgreiche Arbeit dar.)
Am Ende eines Jahres ziehen wir Bilanz, wobei der Ausdruck aus der Buchhaltung auch nur übertragen gilt, denn die Bilanz für dieses Jahr wird das Steuerbüro auch erst viel später anfertigen können.
Am Jahresende muss immer noch alles fertig werden, was davor (und meist auch danach) immer recht viel Zeit hat. Alle werden irgendwie hektisch, denn das Jahr ist bald um. Genauso, als wäre es wirklich “DAS Ende” (Wir hatten doch aber vorhin geübt).
Aber was ist das eigentlich, das Jahresende?
Genau genommen ist es eine ziemlich willkürliche Festlegung. Um uns besser organisieren zu können, haben wir Menschen den Kalender eingeführt. Feine Sache, denn er bildet die Grundlage für die Abfolge von Geburtstags-, Oster-, Hochzeitstags- und Weihnachtsgeschenken (Reihenfolge variabel). So sieht das zumindest aus heutiger Sicht aus. Grundsätzlich war das eher für Aussaat und Ernte und für Termine beim Handel und der Religion gedacht. Für Ultimaten und Kriegserklärungen war das auch sehr brauchbar. Ein Ausdruck wie: “Bis der Mond zum dritten Mal die Dunkelheit besiegt hat”, stammt aus Indianerfilmen und verdeutlicht das Problem. Oder wissen Sie, wann und wie spät es dann ist?
An Kalendern haben sich einige schlaue Leute versucht. Das Problem ist grundsätzlich, dass wir uns dabei auf etwas Greifbares beziehen müssen. Wir haben da z. B. Tag und Nacht. Deren Länge schwankt. Mal ist der Tag länger, mal die Nacht. Aber auch das hat ein Muster und beide zusammen ergeben eine feste Größe. Später hat man gemerkt, dass es unsere Erde ist, die sich einmal um sich selbst dreht und sich auch um die Sonne bewegt und damit einen weiteren Zyklus schafft. Haken an der Geschichte: Die Erde hat das falsche Tanzstudio besucht und kommt nach einer Runde um die Sonne mal mit dem Gesicht zur Wand heraus und mal zum Publikum. Genau genommen noch nicht einmal das.
Bei dem Kalender, den wir jetzt gerade benutzen und der den Dauerbrenner jeder Jahresendbeschenkung darstellt, wird dieser Lapsus unserer Mutter Erde durch das Einfügen oder weglassen von Schaltjahren mit einem Schalttag wettgemacht. Das hat sich ganz gut bewährt. Damit haben wir gleich noch eine Grundlage geschaffen für einen Vier-Jahre-Rhythmus. Den nutzen wir für Olympiaden, Fußballweltmeisterschaften und Legislaturperioden.
Nun haben wir aber zwischen der Runde um die Sonne und der Drehung um sich selbst nicht mehr viel, wonach wir die Daten einteilen können. Zwischen Tag und Jahr liegt aber eine ziemlich große Spanne. Da wäre aber noch der Mond (Siehe Indianerspruch oben). Der nimmt ja regelmäßig ab und zu, wie jemand mit Abo einer beliebigen Frauenzeitschrift, wo auf Seite 12 ein Artikel über Diätwahn steht, auf Seite 14 das Rezept für die neue Kuchenkreation, auf Seite 22 die Frühlingsdiät und auf der Umschlagseite das leckere Eis des Monats (Seitenzahlen sind fiktiv).
Der Zyklus des Mondes hat zumindest einer Einteilung des Jahres zu ihrem Namen verholfen. Die Monate stimmen aber jetzt nicht mehr so ganz mit seinen Phasen überein.
Die noch fehlende Einteilung, die Woche, basiert auch auf den Mondphasen. Der Zyklus von 28 Tagen wurde in vier Teile zu je 7 Tagen geteilt. Die Zahl Sieben hat eine gewisse Symbolik und passt somit.
So gut unser Kalender auch funktioniert, so hat er doch ein paar Haken. Da wäre zum einen die Sache mit dem Schaltjahr, dann haben die Monate eine unterschiedliche Anzahl von Tagen. Jeder Monatstag (Datum) fällt auf einen anderen Wochentag und das ändert sich auch noch jedes Jahr.
Aber was will man da machen? – Nehmen wir doch einen anderen Kalender!
Der Mayakalender sollte es vielleicht nicht sein. Der hat ja schon für mehr Endzeitstimmung gesorgt, als wir ohnehin am Jahresende haben. (Auch wenn der Hype nicht gerechtfertigt war, da der Mayakalender kein Ende der Welt vorhergesagt hat.)
Doch es gab einen Mann namens Moses Bruine Cotsworth (geb. 1859 in der Nähe von New York). Der hatte die Idee zu einem wesentlich vernünftigeren Kalendersystem.
Er nahm die 7-Tage-Woche und den 28-Tage-Monat als Grundlage. Ein Jahr mit 365 Tagen geteilt durch 28 ergibt 13 (Rest 1). Cotsworth brauchte also 13 Monate. Er packte einen Monat, den er zu Ehren der Sonne “Sol” nannte zwischen Juni und Juli.
Damit war zunächst eins gelöst: Jeder Monat fing mit dem gleichen Wochentag an. Bei Cotsworth war der erste des Monats ein Sonntag. Es war viel einfacher genau zu sagen, welches Datum welcher Wochentag ist. 1., 8., 15. und 22. sind immer Sonntag. 2., 9., 16. und 23. immer Montag usw.
Nun ist aber 28×13=364 und reicht nicht für ein Jahr. Also erfand Cotsworth noch einen eigenen Feiertag, den Weihnachtstag. Dieser kam nach dem Montag 22. Dezember, zählte aber nicht mit. Also: Montag, 22. Dezember -> Weihnachtstag -> Dienstag, 23. Dezember. Am 28. Dezember ging dann das Jahr zu Ende.
Mit dem System “Einfügetag ohne Datum und Wochentag” ließ sich auch das Problem der Schaltjahre lösen.
Der Kalender von Moses Bruine Cotsworth war logisch und hätte viele Dinge in unserem Leben vereinfacht. Wie es aber im Leben so ist: Man muss die anderen von seiner Idee begeistern. An der Stelle blieb Mr. Cothsworth leider fast erfolglos. Fast, weil er es zumindest schaffte wenigstens einen einflussreichen Menschen zu überzeugen. Dies war George Eastman, der damals Leiter der Firma Kodak war. Die Mitarbeiter der Firma profitierten davon, indem sie eine Zeit lang nach diesem Kalender in gleichen Abständen 13 Monatsgehälter erhielten.
Aber auch beim Kalender von Cotsworth war der Jahreswechsel eine menschliche Festlegung. Es gibt im All für die Erde keine Ziellinie, die die Runden zählt. Es könnte genauso gut jeder andere Tag sein. Bei den Kelten begann das Jahr da, wo bei uns der 31. Oktober ist. Bis zur Festlegung auf den 1. Januar durch Papst Innozenz XII. im Jahr 1691 war auch der 6. Januar oder der 25. März in Europa gebräuchlich.
In China fällt der Beginn des Neujahrsfestes nach aktueller Rechnung auf einen Neumond zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar.
Der 31. Dezember ist also ein sehr willkürliches Ende. Es wird danach einen 1. Januar geben und das jedes Jahr zu einem beliebigen Wochentag sein. Es geht also einfach weiter.
Ich wünsche Ihnen ein schönes neues Jahr, wie auch immer Sie es zählen.
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“