Na, lange nichts von mir gehört? Lebe noch. Das es keine neuen Aktivitäten hier gibt, liegt daran, dass sich alles im Kreis dreht. Immer, wenn ich mich über etwas aufrege und zur „Feder“ greifen will, stelle ich fest: „Hatten wir schon.“ Dann halte ich mich an meine eigenen „guten Ratschläge“ und sage nichts.
Nun habe ich aber mal in meinen Unterlagen gestöbert und bin auf ein Skript gestoßen, welches ich noch gar nicht veröffentlicht hatte. Es stammt aus dem Januar 2022 und ist nicht zeitkritisch, also bringe ich es mal noch:
Bist du lebensmüde?
Die Frage: “Bist du lebensmüde?” wird meist in höchster Erregung gestellt, wenn der Empfänger der Frage gerade dabei ist, eine Aktion zu starten, die für ihn mit dem vorzeitigen Ableben enden könnte. (An der Stelle gendere ich absichtlich nicht. Die unterschiedliche Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern ist ja bekannt.)
Sei es, dass er die Poolbeleuchtung durch eine auf zwei Badelatschen schwimmende Stromverteilung realisieren will. Sei es, dass er versucht, den dritten Stock über das dünne Rosenspalier zu erreichen oder dass er als Siebtklässler den Zehntklässler fragen will, ob er wirklich im Kindergarten wegen der Sache mit der Unterhose “Bremsspur” genannt wurde.
Allen gemeinsam ist eine Aktion. Dazu eine, die die Vernunft vernachlässigt.
Dabei ist der Anteil “müde” bei “lebensmüde” geradezu das Gegenteil von Aktion.
Des Lebens müde, bedeutet eigentlich: Es reicht mir, ich habe genug. Langweilig! Ich mach nicht mehr mit. Ende.
Da hat sich sich doch glatt wieder einmal in die Sprache etwas eingeschlichen, was am ursprünglichen Sinn vorbei geht.
Kann man sich das nicht besser vorstellen? Zum Beispiel die uralte Morla aus der unendlichen Geschichte war selbst von den größten und schlimmsten Ereignissen der Zeit kaum zu beeindrucken. Sie lebte schon so lange, dass sie davon müde war und bei ihr nichts mehr eine Rolle spielte. Sie war müde vom Leben – lebensmüde. Der junge Krieger Atreju hätte dagegen eher unserer Vorstellung eines Lebensmüden entsprochen. Er macht sich auf eine gefährliche Reise und durchschreitet Portale, die seinen sofortigen Tod bedeuten können. Das tut er alles, um das Leben – auch seins – zu retten.
Er ist gar nicht müde vom Leben und macht daher “lebensmüde” Aktionen.
Wenn ein Begriff einmal mit einer bestimmten Bedeutung Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat, ist er allerdings für alles andere verloren.
Bei einem Problem und verschiedenen Lösungen dürfen Sie sich nie wieder für eine “Endlösung” entscheiden. Das haben Ihnen die Nazis versaut. Bedauern ist dabei nicht das Einzige, was Sie empfinden sollten.
Vor kurzem kam leider noch ein schöner Begriff auch auf die Blacklist: “Querdenken”.
Der hat ja nun mal gar nichts mit einem “in der Natur” vorkommenden Begriff zu tun. Man denkt ja nicht wirklich in Richtungen.
“Quer” steht für “schräg”, also entgegengesetzt zum “Anderen”. Mal anders zu denken, als gewöhnlich, ist sicher kein schlechter Ansatz. Es sollte halt nur etwas Sinnvolles dabei herauskommen und wenn es die Erkenntnis ist, dass gerade aus doch richtig war.
Doch dazu bedarf es des konstruktives Diskurses. Argumente, der Prüfung dieser und die Änderung der Meinung bei neuen Fakten ist völlig aus der Mode gekommen.
Eine Diskussion bringt heutzutage niemand mehr weiter. Es ist nur noch ermüdend.
Unabhängig davon kann man auch so in eine Situation geraten, die einen zur Erkenntnis der “uralten Morla” gelangen lässt, dass es eigentlich keine Rolle spielt. Egal was. Wenn alles rund um einen herum in eine Richtung läuft, für die man nicht mehr die Kraft hat diese zu verändern, man aufgegeben hat es zu wollen und selbst dies einen nicht stört, ist man “lebensmüde” – im Wortsinn und es wird einen niemand laut danach fragen.
Aus der Rubrik „Karl Pfefferkorn (1897-1961) zieht vom Leder“